17.08.2021, Tag 2, 21 km, Gesamtdistanz 33 km
In der Nacht hat es wie vorhergesagt ab circa Null Uhr geregnet. Zum Glück blieb es weitestgehend windstill, so dass meine nur halb in dem steinigen Boden versenkten Heringe das Zelt gehalten haben.
Ich schlafe den Umständen entsprechend eigentlich ganz gut, die erste Nacht im Zelt fällt bei mir immer sehr unruhig und mit mehr Wach- als Schlafphasen aus.
Durch den Regen will ich es unbedingt vermeiden, zwischendurch Pinkeln zu gehen, damit meine Klamotten nicht nass werden und so kann ich erst kurz nach fünf in einer der ersten Regenpausen endlich rausschlüpfen und mich erleichtern. Das wurde auch Zeit!
Bei dieser Gelegenheit sehe ich Taschenlampen, die sich als Fahrradlichter herausstellen. Der oder die Radler sind früh unterwegs! Eine/r fährt auch kurz in den Seitenweg, an dessen Ende ich in der Wendeschleife liege. Aber er dreht wieder um, bevor er in meiner Nähe ist, als er merkt, dass die Sackgasse direkt am rauschenden Fluss endet.
Jetzt wo ich nicht mehr pinkeln muss, überkommt mich natürlich eine bleierne Müdigkeit und ich könnte wahrscheinlich noch ein, zwei Stündchen schlafen. Da es aber langsam hell wird und auch gerade nicht regnet, nutze ich die Gelegenheit und stehe auf.
Die ersten Kilometer ist es schwer zu entscheiden, ob ich den Regenschirm brauche oder nicht. Es liegt ein feiner Sprühnebel in der Luft, der auf Dauer auch komplett durchnässen kann und zwischendurch nieselt es immer wieder. Ich bleibe aber optimistisch, da es ab ca. 10:00 Ihr für den Rest des Tages trocken bleiben soll.
Nachdem ich an der noch geschlossenen Talstation der Bergbahn vorbeigekommen bin, beginnt der Aufstieg auf den Hochgrat. Der Gipfel liegt auf 1.833 Metern, so dass ca. 1.000 Höhenmeter zu überwinden sind. Zunächst ist der Weg noch asphaltiert und ich habe Gelegenheit auf die wolkenverhangenen Berge zu schauen. Ob es sich lohnt, da hinaufzuklettern?

Weiterhin optimistisch beginne ich den Anstieg auf nun kleinen Pfaden, die sich zwischen steilen Bergweiden und vereinzelten Bäumen entlangwinden.
Ich habe mein langes Merino-Shirt an, aber trotz der Anstrengung ist mir kalt. Dies sorgt dafür, dass ich relativ schnell an meinem gesamten Vorhaben zweifle und mich frage, was ich hier eigentlich mache.
Zwischendurch lenken mich Kühe ab, die hinter der nächsten Kurve plötzlich direkt am Weg stehen und ihre nie enden wollenden Kaubewegungen machen, während sie mich neugierig anstarren.
Kurz vor dem Grat kann ich noch eine Gruppe Bergziegen beobachten und dann erklimme ich über eine letzte Seilpassage den Grat. Die Aussicht ist natürlich nicht sehr spektakulär, in allen Richtungen hängen dichte Wolkenfelder und lassen die Fernblicke nur erahnen, die man von hier haben könnte.
Bis zum Gipfelkreuz sind es nochmal 40 Minuten auf dem Grat entlang und als ich dort ankomme, blinzelt zum ersten Mal heute die Sonne durch die dicke Wolkendecke.

Na wenn das nicht Hoffnung auf mehr macht. Wobei immer noch kein Himmel zu sehen ist. Die Wolken sind nur manchmal so dünn, dass die Sonne durchscheinen kann und dabei wie der Vollmond aussieht.
Nach einem kurzen Besuch an der Bergstation der Seilbahn gehe ich zügig weiter und folge dem Wanderweg nach unten, damit ich nicht auskühle. Ein paar Meter hinter der Bergstation fülle ich an einer Tränke mein Wasser auf. Aus einem schwarzen Schlauch kommt klares Wasser, so dass ich hoffe, dass es sauber ist und vielleicht direkt von der Bergstation kommt. Zumindest schmeckt es gut.
Meine Stimmung hebt sich deutlich, da es auf einem bequem zu laufenden Schotterweg hinab geht und mir nicht mehr kalt ist.
Und als ich die (geschlossene) Alpe Scheidwang erreiche, geschieht das Unglaubliche und ein breiter Streifen blauer Himmel ist zu sehen!

Ich nutze die Gelegenheit sofort, um mein Zelt und die Unterlegfolie zu trocknen, was mithilfe der Sonne und des Windes auch schnell und einfach funktioniert.
Um zwölf Uhr begebe ich mich gutgelaunt an den zweiten Anstieg des heutigen Tages.
Zunächst geht es in ca. einer Stunde auf den Heidenkopf (1.685 m) und von dort über teils sehr sportliche Seilpassagen zum nahe gelegenen und ähnlich hohen Girenkopf.
Von beiden kann ich auf den Gipfel des Hochgrat zurückblicken und bestaunen, was ich heute schon geschafft habe.

Das Wetter hält sich tatsächlich, was ich den ganzen Nachmittag über nicht glauben kann. Bei jeder Wolke, die sich vor die Sonne schiebt, denke ich, das war’s und es zieht sich wieder zu. Aber jedes Mal dauert es nicht lange, bis die Sonne wieder warm herunterscheint und ich die Windjacke doch wieder ausziehen kann.
Meine Verpflegung besteht heute aus Energieriegeln, weil nichts anderes verfügbar ist, aber das hatte ich so eingeplant und habe deswegen ausreichend mit. Nachmittags wird der Speiseplan noch durch einige Hände voll frischer, süßer Blaubeeren ergänzt, als ich minutenlang an wahren Blaubeerfeldern vorbeikomme.
Als ich langsam ins Balderschwanger Tal hinabwandere habe ich endlich wieder Mobilfunkempfang und aktualisiere sofort die Wetter-App. Und ich werde positiv überrascht. Nicht nur soll es heute frühestens nach Sonnenuntergang wieder regnen. Für morgen scheint es ab ca. 10:00 Uhr komplett trocken zu bleiben und das konstant bis Übermorgen. Das sind doch mal schöne Aussichten.
Um dreiviertel vier erreiche ich das kleine Dorf Balderschwang, wo es zwar jede Menge Hotels und Gasthäuser, aber nicht einen einzigen Laden gibt.

Dafür bietet mir der kleine Friedhof neben der Kirche frisches Wasser für meine Flaschen und am Dorfbrunnen direkt daneben kann ich meine Beine und Füße waschen, damit sie nicht das Zelt verschmutzen.
Ich schlendere bei schönstem Sonnenschein noch ein wenig aus Balderschwang hinaus und finde dann in einem kleinen Waldstück den fast perfekten Platz für mein Zelt. Vom Weg aus gut zu erreichen und nicht ewig weit weg, aber durch die Bäume und Sträucher dazwischen nicht durch die zahlreichen Spaziergänger zu sehen. Außerdem ist es Nadelwald – ich liebe Nadelwald! Tagsüber riechen die Bäume wunderbar, wenn sie durch die Sonne erwärmt werden und nachts geben die weichen Nadeln auf dem Boden einen bequemen Untergrund ab. Und Probleme, die Heringe in den Boden zu bekommen, habe ich heute auch nicht.
Da es noch so früh ist, habe ich ausreichend Zeit um das Zelt sorgfältig aufzubauen und meine abendlichen Routinen durchzuführen. Da ich durch die umgebenden Bäume gut vor Wind und Kälte geschützt bin, erwarte ich eine ruhige und erholsame Nacht.





Kirche Balderschwang 

Gipfelkreuz Hochgrat 