24.03. – 29.03., 6 Tage, 186 km, Gesamtkilometer: 2.964 km
Ich bin bereit…nach den letzten beiden Ruhetagen will ich jetzt endlich in Bluff ankommen – keine Verzögerungen mehr, keine Ruhetage…einfach nur Durchlaufen und Ankommen. Es sprechen auch einige gute Argumente für ein baldiges Ende des Thru-Hikes. Zunächst wäre da der Herbst, der sich schon seit einigen Tagen bemerkbar macht. Insbesondere morgens ist es spürbar kühler und ich laufe immer öfter in meiner Jacke, ohne dass mir zu warm wird. Und auch die Sonne wärmt nicht mehr so stark, wie sie es im Sommer getan hat – im Winter möchte ich den Track nun wirklich nicht laufen, also los. Desweiteren hält meine Ausrüstung auch nicht mehr lange durch…den Reißverschluss vom Zelt kann ich nur noch mit viel Gefühl öffnen und schließen, von dem teil-kaputten Trekkingstock habe ich schon geschrieben, die Einlegesohlen lösen sich leider auch massiv auf und auch die Beschichtungen der Regenklamotten halten nicht mehr ewig…ein fünfmonatiger, täglicher Einsatz ist dann doch etwas anderes, als ein Zweiwochenurlaub pro Jahr…und der Herbst scheint auch in Neuseeland Hauptjagdsaison zu sein. Ich höre jetzt auch tagsüber immer wieder Schüsse im Wald…im Sommer waren die Jäger eigentlich nur ganz früh morgens unterwegs, wenn überhaupt…jedenfalls ist es kein angenehmes Gefühl, durch einen ansonsten verlassenen, undurchdringlichen Wald zu laufen, wenn man gerade drei Schüsse gehört hat.
Und außerdem ist es jetzt einfach an der Zeit, den Thru-Hike zu beenden – und den nächsten vorzubereiten 😉 aber dazu dann später mehr. Also mache ich Tempo – in spätestens acht Tagen will ich in Bluff sein.
Am Vorabend bin ich ja im Dunkeln in der Lower Princhester Hut angekommen und im Dunkeln verlasse ich sie auch wieder. Das liegt aber eher an den vier Jungs, die schon um halb sechs aufstehen und eine Stunde später loslaufen, weil sie heute 38km bis zum Campingplatz laufen wollen. Ich habe das theoretisch auch vor, nachdem ich eine Stunde mit Lampe durch den Wald gestolpert und bis fast auf den Sattel geklettert bin und der Weg auch im Tageslicht nicht besser und einfacher, sondern nur noch matschiger wird, gebe ich diesen Plan aber schnell auf. Nach dem Wald kommt eine große, mit Tussock bewachsene Ebene. Und der Weg ist so zugewachsen, dass ich einfach nicht erkennen kann, ob es hinter dem nächsten Strauch hoch oder runter geht – die Tussockwiesen sind nämlich immer sehr hügelig.

der Tussock ist manchmal höher als ich…
Ich bin zunehmend genervt, weil ich nicht so zügig vorankomme, wie ich mir das vorgestellt habe und weil meine Schuhe immer wieder in tiefen Schlammlöchern versinken oder ich gleich ganz nach unten falle…danach wechseln sich Wald und Tussockwiesen ab und ich bin heilfroh, als ich mittags die erste Hütte erreiche und damit wenigstens 14km geschafft habe. Nach der Mittagspause verlaufe ich mich natürlich ersteinmal, was meine Stimmung auch nicht hebt. Der nächste Wald ist zwar nicht mehr ganz so hart, aber heute nervt mich einfach nur noch alles, zum Beispiel die Spinnweben, die mir schon wieder im Gesicht hängen. Als ich abends an der Lower Wairaki Hut ankomme – ein älteres Baujahr – sind die beiden unteren Betten schon belegt, es schwirren zig Sandflies umher und die ganze Hütte stinkt nach Rauch – also baue ich mein Zelt auf und bin heilfroh, nicht in der Hütte schlafen zu müssen. Um diesen Tag endgültig zum nervigsten seit langem zu machen, falle ich beim Wasserholen auch noch in den Fluss – zu diesem Zeitpunkt regt mich das aber schon gar nicht mehr auf – war irgendwie klar – an diesem Tag…noch sieben Tage bis Bluff.
Am nächsten Morgen bekomme ich die beiden Teile des Trekkingstocks, die noch funktioniert hatten, nicht mehr auseinander gedreht, sie haben sich irgendwie verkantet…auch einer der beiden Hiker in der Hütte schafft es nicht und so muss ich ab jetzt mit einem super langen Stock, der oben aus dem Rucksack guckt, weiterlaufen. Ich bin ja froh, dass ich damit immer noch das Zelt aufgebaut bekomme, bleibe jetzt aber regelmäßig in irgendwelchen Ästen und Sträuchern hängen…
Heute geht es wieder auf einen Sattel, sogar auf 1.000 Meter und damit über die Baumgrenze…wobei mir die Aussicht mal wieder größtenteils verborgen bleibt, weil ich mitten in den Wolken laufe. Aber auch das ist schön und ich genieße einen der letzten Abschnitte in dieser Höhe.

Aussicht gleich null
Nachmittags geht es über das Gelände einer privaten Farm und zum Glück bleibt es uns erspart, knapp 20km über zugeschissene Weiden zu latschen, da der TA auf den Fahrwegen entlangführt. So komme ich heute gut voran, höre Podcasts und schaffe insgesamt 36km. Ich denke jetzt natürlich viel über die letzten fünf Monate nach, was ich in der Zeit erlebt habe, wie ich mich evt. verändert habe und wie es weitergehen wird…einen Teil der Gedanken werde ich sicherlich im Fazit formulieren. Was ich immer noch am Erstaunlichsten finde – dass es wirklich so ist, wie es alle, die das schon getan haben, sagen: wenn man wirklich einen Truh-Hike laufen will, dann schafft man das auch – und das bezieht sich hauptsächlich auf die notwendige Zeit, die man sich dafür nehmen muss. Noch sechs Tage bis nach Bluff.

Zelten im Eukalyptuswald
Nach einer angenehmen Nacht in einer kleinen Eukalyptusplantage geht es wieder über stoppelige Weiden und wieder nach oben. Auch die schon fast vergessenen Styles müssen wieder zahlreich erklommen werden. Überhaupt sind die letzten zweihundert Kilometer des TA eine Zusammenfassung der Nordinsel…matschige Wälder, zugeschissene Weiden mit nervigen Styles, etwas Strand und viel Straße…man könnte fast meinen, wir sind im Kreis gelaufen 😉

über ein Style zu klettern macht auch nur die ersten fünf Male Spaß…
Zwischendurch geht es aber auch immer wieder über vernünftige, einfach zu laufende Wege durch „Exotic Forest“, wie es in den Notes steht…nun ja, wenn die Nadelbäume zum Beispiel aus Kanada kommen, sind sie hier ja auch exotisch 😉
Nachmittags bewältige ich noch den steilen Aufstieg durch komplett bemoosten, wunderschönen (wenn auch matschigen) Wald zum Bald Hill und finde trotz anderslautender Informationen in den Trail Notes ein schönes Plätzchen für mein Zelt direkt auf der Heidekrautfläche auf dem Gipfel. Das wird meine vorletzte Nacht im Zelt auf dem TA sein, da ich die letzten Nächte alle in Städten bin. Noch fünf Tage bis Bluff.
Als ich morgens durch die Dunstwolken der Morgendämmerung an dem Sendemast auf dem Gipfel vorbeilaufe, kommen mir zwei Jäger entgegen, die einigermaßen überrascht zu sein scheinen, dass es hier einen Wanderweg gibt…ich wünsche Ihnen zwar Glück für ihr Vorhaben, Wild zu erlegen, hoffe aber, dass sie dieses von Jo und Michi, die ein paar Stunden hinter mir sind, unterscheiden können…
Heute geht es weiter im Longwood Forest entlang – und morgen übrigens auch noch…der erste Abschnitt führt letztmalig über die Baumgrenze und glücklicherweise lösen sich die Wolken, die mich natürlich begrüßen, langsam auf. Da es auch eine ganze Weile oben entlang geht, kann ich am Ende zumindest die Strecke sehen, die es in den nächsten zwei Tagen am Strand entlanggehen wird – Bluff ist nicht zu erkennen, dafür ist es zu diesig und der Ort wahrscheinlich auch noch zu weit entfernt.

vom Longwood Trig Aussicht auf Riverton
Der Abstieg durch den Wald bis zur Martins Hut ist richtig, richtig hart…steil und matschig…der Weg kommt fast an Pirongia ran, aber nur fast…es dauert ewig, bis ich endlich an der Hütte ankomme. Die Martins Hut ist eine besondere Hütte – es ist die letzte auf dem TA…sie ist von 1905 und entsprechend heruntergekommen, hat vier Betten und ich bin ganz froh, dass ich hier nur Mittagspause mache und nicht schlafen muss. Zum letzten Mal lese ich mir das Hüttenbuch durch und schreibe mich selbst ein…so viele Dinge, die in diesen Tagen zum letzten Mal geschehen, obwohl sie in den letzten fünf Monaten zum Alltag gehört haben…
Auch der letzte Waldabschnitt steht an. Er fällt mit 22 Kilometern aber nochmal sehr üppig aus und ist mit neun Stunden veranschlagt. Ich laufe um halb drei an der Hütte los und es ist klar, dass ich mir im Wald einen Zeltplatz suchen muss. Schon auf den ersten Kilometern wird allerdings deutlich, dass das nicht so einfach ist, da es einfach keine freien Flächen gibt. Der Wald ist komplett zugewachsen, der Weg führt am Hang entlang und an vielen Stellen ist es natürlich auch matschig. Der Weg folgt einem alten Wasserkanal, der von Ende des 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts das Wasser zu den Goldminen geleitet hat, die es hier in der Gegend zahlreich gab. An einer Stelle liegen sogar noch alte Maschinenteile im Wald.

rechts der Ports Water Race – ein alter Wasserkanal

Ab 18 Uhr sehe ich mich intensiver nach einem Platz für mein Zelt um und konzentriere mich dabei hauptsächlich auf den Weg, da klar ist, dass es woanders keinen Platz geben wird. Um 19 Uhr kommt dann eine Kurve und der ideale Platz für mein Zelt. Ich war die ganze Zeit überzeugt gewesen, dass ich etwas finden werde, zumindest das hat bis jetzt immer – auf allen meinen Wanderungen – funktioniert. Mittlerweile ist der Reißverschluss des Moskitonetzes komplett kaputt und ich kann ihn nicht mehr schließen…die letzte Nacht im Zelt auf dem TA verbringe ich also mit offenem Zelt, aber es gibt hier zum Glück keine Sandflies und ich habe eine sehr ruhige, bequeme Nacht. Und da ich in den letzten Tagen so gut vorangekommen bin, sind es nur noch drei Tage bis Bluff!

eine kleine Ecke reicht mir doch vollkommen…
Am Vormittag laufe ich die letzten 12 Kilometer im Wald und an seinem Ende steht das erste Schild, auf dem Bluff erwähnt wird *schluck* ein komisches Gefühl… übermorgen!

das Ziel rückt in greifbare Nähe
Zunächst geht es aber ein paar Kilometer bis nach Colac Bay, wo ich endlich wieder ans Meer komme – schön!!! Und dann steht da auch noch ein Picknicktisch – perfekt für die Mittagspause. Der Strandabschnitt danach ist leider nicht so schön, das heißt, schön ist er schon, läuft sich aber richtig, richtig schlecht, weil der Strand aus runden, losen Steinen besteht und man überhaupt nicht vorwärts kommt. Danach jagen sie uns durch irgendwelche Riesenpflanzen und einen Hügel nach dem anderen rauf und runter, nur damit wir nicht auf dem Weg der (privaten) Farm langstiefeln – nervig! Ich wollte viel früher in Riverton ankommen, schaffe es aber aufgrund des Weges erst zu siebzehn Uhr. Immerhin ist es ein nettes, kleines, verschlafenes Örtchen, das ein super cooles Hostel besitzt. Die Betten sind günstig, die Atmosphäre ist total entspannt und ich treffe einen ganzen Berg von TA-Hikern, die alle Richtung Ziel streben – oder noch nicht so weit sind und erstmal einen Ruhetag einschieben, um noch nicht ankommen zu müssen.
Auch am nächsten Tag stehe ich gewohnt früh auf und laufe um halb acht los. Heute geht es den größten Teil der 32 km am Strand entlang, dieses Mal aber an einem normalen Sandstrand und da vormittags Ebbe ist läuft es sich super. Ich laufe in den aufgrund der Wolken sehr verhaltenden Sonnenaufgang hinein, höre die Wellen rauschen und bin einfach nur glücklich.

mehr Sonne war an diesem Morgen nicht drin
Ich erinnere mich an die ersten Tage auf dem TA auf dem 90 Mile Beach und wie anstrengend es für mich war, den ganzen Tag durchzulaufen…heute schaffe ich die 22 Kilometer problemlos, schaue ein letztes Mal auf das wunderschöne Meer und biege dann auf die Straße in Richtung Invercargill ab. Nach weiteren zehn Kilometern Straße bin ich am Ende des Abschnitts und suche mir im Zentrum eine Unterkunft. Invercargill ist die südlichste Stadt Neuseelands (Bluff ist keine Stadt) und tatsächlich relativ groß. Als ich von weitem die ersten Hochhäuser sehe, muss ich zweimal hinsehen, so überrascht bin ich…Hochhäuser habe ich das letzte Mal in Wellington gesehen!
Ich komme in der Tuatara Lodge unter, einem großen Hostel und gehe zu Pac’n’Save, um für heute Abend und morgen früh etwas zu Essen zu kaufen. Einen richtigen Resupply muss ich ja nicht mehr machen…und ich muss mich wirklich zurückhalten – es gibt sooo viele leckere Dinge…ab übermorgen könnte ich die alle kaufen, da ich sie dann nicht mehr schleppen muss…wobei…noch nicht ganz. Nach ein paar Ruhetagen will ich noch den Northwest-Circuit auf Stewart Island laufen. Die Wanderung dauert maximal zehn Tage und soll zu einer der schönsten ganz Neuseelands gehören, das kann ich mir doch nicht entgehen lassen!
Aber alles der Reihe nach….morgen ist es so weit – morgen komme ich in Bluff an!