Was kann ich nach 1.700 gelaufenen Kilometern über die Nordinsel sagen? Bzw. über den Te Araroa auf der Nordinsel Neuseelands?
Spontan fällt mir viel Negatives ein, aber das wird dem Trail nicht gerecht… Es gibt schon sehr viele schöne Strecken auf der Nordinsel, nur leider nicht genug, um den negativen Gesamteindruck wett zu machen.
Das Problem des TA auf der Nordinsel ist zum einen die fehlende Verbindung zwischen den einzelnen Tracks. Der Weg ist noch sehr jung und verändert sich fortlaufend. Der TA-Trust arbeitet ständig an neuen Streckenführungen. Man kann nur hoffen, dass in 20, 30 Jahren keine Straßenabschnitte mehr als Verbindung herhalten müssen, sondern man den ganzen Weg offroad laufen kann. Denn die Straßenabschnitte sind wirklich kein Spaß. Und ich rede nicht von den abgelegenen Schotterstraßen, wo eigentlich nie ein Auto vorbei kommt, sondern von den asphaltierten Highways, auf denen ununterbrochen Autos langrauschen und wo man sich als Wanderer auf einem nicht begehbaren Seitenstreifen durchschlagen muss oder sich auf dem Asphalt tagelange Fußschmerzen holt. Und das zusammengenommen auf mehreren hundert Kilometern.
Das zweite Problem des Trails ist der Zustand der Wanderwege. Insbesondere die Wälder sind zum großen Teil so dermaßen matschig, dass man das nicht mehr wandern nennen kann, wenn man versucht, dort irgendwie durchzurutschen. Ich kann nicht genau sagen, warum die Wege so schlammig sind und ob sie immer so sind oder ich eine ungünstige Zeit erwischt habe, aber den Erzählungen zufolge scheint das schon normal zu sein und verleidet einem damit jegliche Wanderfreude. Überhaupt ist der Antrieb auf der Nordinsel eigentlich immer damit begründet, dass man aus dem aktuellen Abschnitt endlich raus will und sich somit im Wald auf die Weiden freut. Wenn man dann aber tagelang über löchrige Weiden stapfen muss, freut man sich auf die Straße und wenn man dann auf der Straße von Autos genervt und mit Fußschmerzen belastet ist, freut man sich wieder auf den nächsten Wald…und das ist die eigentliche Motivation, die Nordinsel zu schaffen…
Wobei mir die Nordinsel bis Auckland sehr gefallen hat – einschließlich der Straßenabschnitte, die sich bis dahin in Grenzen hielten. Es gab abwechslungsreiche Abschnitte, angefangen mit dem 90-Mile-Beach und den legendären Northlandforests über einige weitere Wald- und Weidenabschnitte bis hin zu den wunderschönen Stränden an der Ostküste.
Aber nach Auckland wird es wirklich immer unattraktiver…die Straßenabschnitte nehmen deutlich zu und man läuft mehrere zig Kilometer, um einen vier Kilometer Track im Wald zu erreichen, der dann in der gewohnten Qualität unlaufbar ist…das ist teilweise wirklich lachhaft und alles andere als lustig. Und es gibt eben auch nichts Neues mehr…man kennt alle Landschaftsformen schon und die anfängliche Faszination für moosbewachsene Wälder oder treudoof dreinblickende Kühe lässt nach.
Auf den 1.200 Kilometern zwischen Auckland und Wellington gibt es eigentlich nur drei Highlights, auf die man sich als Wanderer freuen kann, das sind das Tongariro Crossing, die Kanutour auf dem Whanganui River und die Wanderung durch die Tararua Ranges…für mich persönlich war der Hakarimata Forest vor Hamilton noch ein Highlight, aber gemessen an der Strecke ist das nicht viel…
Man weiß als Wanderer natürlich vorher, dass der TA auf der Nordinsel nicht die super abgelegene, landschaftlich reizvolle Route darstellt, die man von anderen Wanderwegen evt. gewohnt ist, aber es gibt eben viele Dinge, die nicht so schlecht sein müssten und das nervt dann irgendwann selbst den positivsten Hiker.
Für viele ist die Nordinsel nur ein Pflichtteil auf dem Weg zur Südinsel und ehrlich gesagt war ich nach der Kanutour auch fertig mit der Nordinsel und habe mich nur noch auf die Tararua Ranges und die Südinsel gefreut.
Und ich persönlich?
Ich bin auf meinem ersten Long-Distance-Hike unterwegs und ganz ehrlich, noch bis zum Start habe ich nicht daran geglaubt, dass ich es schaffen werde. Zu sehr hatte ich vorher mit massiven Fußschmerzen zu kämpfen. Aber dank der super Einlagen hält sich der Schmerz in Grenzen bzw. begrenzt sich auf die Zeiten wo ich nicht laufe und das ist ertragbar. Und mittlerweile tun mir so viele andere Körperteile weh, dass die Plantarsehnen mein geringstes Problem darstellen.
Habe ich es anfangs noch geschafft, den Weg relativ locker und entspannt anzugehen und meine 20-25 Kilometer am Tag zu laufen, haben mich insbesondere die Strand- und Straßenabschnitte zu längeren Tagesstrecken verleitet und so sind mittlerweile 30km fast ein Tagesminimum geworden… Und mein Körper ist auch in der Lage, das zu laufen, allerdings nicht täglich und nicht, wenn ich noch mehr als zwei Monate weiter laufen will. Ich bin irgendwie der Typ, der sich auf dem Weg total verausgabt, lange Tagesstrecken absolviert um in die nächste Stadt zu kommen und da lege ich dann einen Ruhetag ein. Viele andere gehen den Weg entspannter an, laufen kürzere Strecken und brauchen dann aber auch keinen Ruhetag. Aber ich lerne erst jetzt langsam, mich auf meinen Essensvorrat zu verlassen und keine Angst zu haben, dass es nicht reichen wird – weshalb ich schnell in die nächste Stadt will. Ist zwar ein ungünstiger Zeitpunkt für diese Erkenntnis, weil es hier auf der Südinsel wirklich eng werden kann mit dem Essen, wenn man aus wettertechnischen Gründen ein, zwei Tage in einer Hütte bleiben muss, aber ich muss auch auf meinen Körper hören und der gibt mir im Moment deutlich zu verstehen, dass er an seine Grenzen kommt.
Ansonsten ist es für mich wirklich schöner Alltag geworden, einfach nur zu laufen. Das Trailleben ist schon angenehm, man muss sich um nicht viel mehr kümmern als einen Schlafplatz und etwas zu essen. Keine Termine, keine Verantwortung und kein Ärger. Klar nerven mich jeden Tag irgendwelche Dinge, wenn der Rucksack mal wieder zu schwer ist, oder es zu heiß, zu kalt oder zu windig ist, wenn der Weg kacke ist oder ich mich mal wieder verlaufen habe. Aber das sind alles keine Dramen, das nervt in dem Moment, aber spätestens am nächsten Tag ist das alles vergessen – es belastet mich nicht, so wie die Themen „früher“ auf Arbeit, die ich tage- und wochenlang mit mir herumgeschleppt und die mich richtig beschäftigt haben. Hier auf dem Trail gibt es eine Grundzufriedenheit, die auch unter widrigen Tagesumständen bestehen bleibt. Ich bin vielleicht genervt, aber trotzdem zufrieden und glücklich. Und jetzt verstehe ich auch, dass viele Thru-Hiker immer wieder auf Wanderschaft gehen wollen und auch ich sehe dem Ende des Trails jetzt schon sehr wehmütig entgegen…die Südinsel ist kürzer als die Nordinsel, es dauert nicht mehr lange, und dieses einfache, unkomplizierte Leben ist schon wieder vorbei…keine schönen Aussichten…
Aber noch ist es ja nicht so weit, noch liegen 1.400 km vor mir und wenn mein Fußgelenk nicht besser wird, dauert es noch eine ganze Weile, bis ich in Bluff ankomme.