10. – 14.11., 5 Tage, 124km
Der Ruhetag hat richtig gut getan und weil wir viel Vorhaben, starten Alex und ich schon um sechs Uhr mit dem Sonnenaufgang zur nächsten Etappe. Zunächst stehen 9km Straße an, bevor es in den ersten von drei Wäldern geht. Die anderen wollen sich mit dem Auto bis zum Wald fahren lassen. Als ich mich am Vorabend dagegen ausgesprochen habe zu fahren, da die Straßenstrecke nun mal mit zum Trail gehört, bin ich sofort als „purist“ abgestempelt worden…mir egal, aber ich bin schließlich hier, um 3.000km zu Fuß zu gehen und nicht die halbe Strecke zu trampen.
Gut gelaunt kommen wir um acht Uhr am Herekino Forest an und sind gespannt, wie matschig und schlimm es werden wird, über die Wälder hört man eigentlich nur Schlechtes.
Es geht auch gleich mit einem knackigen Anstieg über steile, nicht endend wollende Stufen los.

Und geht dann mit steilen Anstiegen und matschigen Pfaden weiter. Als wohl erzogene Dame versuche ich natürlich die Schlammlöcher zu meiden…was mir nur teilweise gelingt und auch jede Menge Kraft und Zeit kostet, da ich mich dafür am Rand des Pfades von einem Baum zum anderen ziehen und hangeln muss – nur um letztendlich doch im Matsch zu landen.
Trotzdem macht es Spaß, es ist eine willkommene Abwechslung zum Strand und eine gewisse Anstrengung war auf der Wanderung ja auch zu erwarten.
Der Wald darf ohne Zweifel als Urwald bezeichnet werden, auf einem Quadratmeter wachsen gefühlt hundert verschiedene Pflanzen, alles ist dicht bewachsen und bis auf den kleinen, schlammigen Pfad gibt es an vielen Stellen kein Durchkommen.

Auf dem ersten Gipfel angekommen, folgt ein kurzes Stück, das vom Bewuchs fast an eine Heidelandschaft erinnert, bevor es wieder in den dichten Wald und damit Matsch hinein geht und der nächste Anstieg wartet.
Nach gut vier Stunden habe ich laut GPS ehrgeizige 4km geschafft…die Waldschnecken sind also schneller als ich, toll…aber es ist wirklich anstrengend und die Höhenmeter, die wir überwinden müssen, sind auch nicht zu verachten.

Zwischendurch kommt ein Stück „ausgebauter Forstweg“, der eine kurze Verschnaufpause verschafft, bevor es z nächsten schlammigen Anstieg geht. Für die gesamte Strecke von 14km hat ein Schild am Eingang 9 Stunden Wanderung prognostiziert…ob ich das schaffen würde?
Richtig beindruckt bin ich, als ich den ersten Kauri Baum sehe. Kauris sind teilweise jahrtausende alte Baumgiganten, die früher in Neuseeland weit verbreitet waren, durch zu starke Abholzung aber leider stark dezimiert wurden. Heutzutage stehen sie unter strengem Schutz, allerdings geht jetzt eine Krankheit um, die den Bestand gefährdet. Deswegen gibt es an den Eingängen zu den Kauriwäldern auch Schuhputzstationen, wo man sich den Dreck abwaschen soll, um ihn nicht in den nächsten Wald zu tragen.

Irgendwann treffe ich Alex wieder, von dem ich dachte, dass er schon einen größeren Vorsprung hat, aber mit dem unglaublich großen Rucksack ist ein angemessen langsames Tempo auch nicht verwunderlich.
An einer Stelle hängt ein geknotetes Seil den Abhang hinunter. Alex klettert drüber und versucht ein Stück weiter den Abhang hinunterzukommen. Ich habe alle Folgen von MacGyver gesehen und so ziehe ich die Überlegung in Betracht, dass man das Seil evt zum Abstieg nutzen soll…doch noch während ich versuche Alex meine Idee zu vermitteln und nach der Vokabel für Seil suche, höre ich einen Schrei, der Tarzan zur Ehre gereicht hätte. Gefolgt von einem großen Gepolter und unterdrückten Flüchen…Alex hatte nach einigen Anläufen festgestellt, dass der Abhang selbst nach unseren heutigen Erfahrungen äußert steil war. Also entschied er sich, seinen ca. 25kg schweren Rucksack vorauszuschicken. Dummerweise blieb er hängen und rutschte hinterher und das kleine Bäumchen, an welchem er sich festhalten wollte, riss er einfach mit sich…
Wohlerzogene Dame die ich bin (ich erwähnte es schon), fragte ich dezent, ob er okay ist und wandte mich nach einer entsprechenden Bestätigung höflich ab. Ich inspizierte nochmal das Seil und hangelte mich daran den Abhang hinunter…ging gut und ohne weitere Worte trotteten wir weiter.
Nach insgesamt sieben Stunden kamen wir dann endlich aus dem Wald heraus
Dort warteten unsere beiden „Sprinter“ Urte und Michael, die schon seit über zwei Stunden fertig waren. Wir warteten noch auf die anderen drei Jungs und trotteten dann in einer langen Schlange weitere 9km, da sich dort ein Campingplatz befinden sollte, der allerdings nicht in unseren Trail Notes erwähnt wurde.
Das hat auch seinen guten Grund, den Zeltplatz gibt es nämlich nicht, aber wir surfen auf dem Gelände der alten Schule übernachten. Also stellen wir unsere sieben Zelte auf und tanken Kraft für den nächsten Tag.
Da steht nämlich der Raetea Forest auf dem Programm und Michael, der einzige Kiwi in unserer Truppe, warnt uns vor, dass die 18km, die der Track lang ist, als Tagespensum für heute völlig ausreichen und wir das einfach nur schaffen sollten…klingt anstrengend.
Ist nicht anstrengend, sondern einfach nur die Hölle!!!
Wir müssen fünf Gipfel erklimmen,der höchste ist über 700m hoch und insgesamt sind es weit mehr als 600 Höhenmeter, auch wenn wir einigermaßen weit oben bleiben und zwischendurch nicht immer absteigen müssen. Was den Wald aber so richtig anstrengend macht ist der Schlamm…es gibt auf den ganzen 18km vielleicht 100m, die nicht schlammig sind. Alles andere ist matschig, steil und einfach nur unbegehbar.
Leider versuche ich auch hier, nicht direkt in den Schlamm zu treten, was wieder sehr viel Kraft und Zeit kostet, andererseits aber auch erforderlich ist, da ich im Schlamm nur ausrutschen und hinfallen würde. Schon am dritten Gipfel, dem höchsten, bin ich mit meinen Kräften am Ende und bezweifelt ernsthaft, dass ich die gesamte Strecke heute schaffe, da noch lange nicht die Hälfte geschafft ist. Das blöde ist nur, dass es hier im Wald kein Wasser in flüssiger Form gibt (nur SCHLAMM) und ich mit meinen drei Litern nicht über die Nacht kommen würde. Also musste ich es schaffen.
Aber die Wege waren nicht nur schlammig, sondern teilweise auch so dermaßen lebensgefährlich dicht am Abgrund und ausgetreten, dass ich zunehmend gereizter und schlecht gelaunter wurde. Dass die Anstiege kein Ende nahmen, weil zwischen den benannten Gipfeln offensichtlich noch weitere Berge erklommen wurden, trug nicht zu einer Verbesserung meiner Laune bei.
Meine Füße schmerzten höllisch und ich hatte Mühe, ein nicht schlammiges, begehbares Plätzchen für die Mittagspause zu finden.
Und ich kam einfach nicht voran, die gps-Anzeige kroch nur äußerst langsam voran und es wurde später und später.

der Standardzustand des Weges

wenn es mal nicht ganz so matschig war, lagen andere Hürden im Weg

erwähnte ich schon, dass es matschig war?
Die Strecke war mit 8 Stunden veranschlagt, nach acht Stunden war ich aber immer noch mitten im Wald und am Ende sollten noch mehr als vier Kilometer Abstieg kommen.
Ich lief nur noch im Überlebensmodus und fluchte vor mich hin. Wie konnte man so eine Strecke als offiziellen Wanderweg ausweisen?!? Das war Körperverletzung! Fahrlässige Gefährdung unschuldiger, wohlerzogener Damen! Dante hatte so Unrecht…die neun Höllenkreise bestanden allesamt aus einer Wanderung durch den Raetea-Forest!
Aber alles jammern half nichts, ich musste hier raus. Gegen 17:00 Uhr kam endlich ein breiter, mit Gras bewachsener Fahrweg und ich dachte, das Gröbste ist geschafft, aber ich war ja im Raetea…und das bedeutete, dass auch dieser Weg komplett matschig und damit unbegehbar war.
Um 19:00 – nach zehn Stunden in der Hölle und zehn Stunden maximale Kraftanstrengung – kam ich endlich auf eine große Weide. Die Wolken zogen sich immer mehr zusammen und es fing an zu regnen. Ich wollte nur noch zu einer Wasserquelle und dort mein Zelt aufschlagen. Am Ende der Weide gab es dann auch einen Fluss und dort zelteten auch schon die drei Jungs…sie waren auch erst vor einer Stunde hier angekommen und genauso fertig.
Mit letzten Kräften baute ich mein Zelt auf, wusch die Schuhe und Socken im Fluss und warf mich auf die Isomatte…noch so einen Wald würde ich auf keinen Fall schaffen.
Zum Glück hatte ich Handyempfang und ich fragte Felix per SMS, wie der nächste Wald, Puketi, werden würde, er war da natürlich schon durch. Er meinte, dass er nicht so schlimm wie Raetea ist, sondern Spaß macht…das machte mir etwas Hoffnung, aber mein Körper war noch so aufgewühlt von der Anstrengung, dass ich sehr lange nicht einschlafen konnte.
Am nächsten Tag liefen wir zwar auch wieder 20km, dieses Mal aber nur über Schotter- und Asphaltstraßen. Mittags kamen wir in einem kleinen Ort an einem Minimarkt vorbei, wo wir ausgiebig Pause machten und ich mich mit Burger und Pommes belohnte. Hier trafen wir auch wieder auf Urte, die dieses Mal gemeinsam mit Benjamin am Schnellsten war und es gestern noch bis hierher geschafft hatten.
Unser Ziel war der Apple Tree Campingplatz, der am Beginn der nächsten Waldetappe lag. Der Tag war richtig angenehm, mal kein Schlamm unter den Schuhen…
Und die nächsten zwei Tage waren auch gut – ist auch kein Kunststück, alles ist besser als Raetea. Im Puketi Forest ging es nach einer kurzen Einleitung erstmal für 2,5km in den Fluss. Ja, der Wanderweg verlief direkt IM Fluss, was allerdings eine Wohltat für die Füße war und die Schuhe wurden auch wieder sauber.

Danach kamen zwar nochmal zwei anstrengende, teils unwegsame Abschnitte, aber mich wunderte hier nichts mehr und ich nahm gelassen zur Kenntnis, dass man in Neuseeland an die Wanderer Anforderungen stellte, die bei uns einem erfolgreichen Aufnahmetest bei der GSG9 gleichkamen…
Auch ein weiterer, langer Anstieg auf einige Gipfel stand wieder an, danach dann noch 9km Schotterstraße und ich kam – wie immer als letzte – auf dem Campingplatz an.
Der fünfte Tag dieses Abschnitts war dann eine schöne Abwechslung, weil es dieses Mal über Schafsweiden und an einem Bach entlang in Richtung Kerikeri ging.
Wir fieberten alle der Stadt und dem Ruhetag entgegen, den wir uns redlich verdient hatten. Ich erlag einem Missverständnis und lief in Kerikeri weiter, als es bis zum Holiday Park notwendig gewesen wäre, allerdings kam ich dadurch noch an den Rainbow Waterfalls und dem Kemphaus vorbei, letzteres ist das ältrste noch existierende Haus in Neuseeland, das von den ersten Missionaren vor 200 Jahren errichtet wurde. Sie pflanzten damals auch Pfirsichbäume und einen davon gibt es tatsächlich immer noch.

ältestes Haus Neuseelands

200 Jahre alter Pfirsichbaum
Den Rest des Tages verbrachte ich unter der heißen Dusche und im Supermarkt. Abends veranstalteten wir ein Festessen, das es in sich hatte. Die Reste konnten wir dann immer noch morgen aufessen.





























